Markus Heuger, Christoph Reuter
(Köln)
Erschienen in: Musik im virtuellen Raum. Musik und Neue Technologie 3. herausgegeben von Bernd Enders und Joachim Stange-Elge Osnabrück (Rasch) 2000 S. 207-225
Abstract:
Wie sieht das Musikleben der Zukunft aus? Diese Frage beschäftigt nicht nur Musikwissenschaftlerinnen und
Musikwissenschaftler auf der KlangArt. Musik ist auch seit jeher ein unverzichtbarer Bestandteil der Utopien in Sci-Fi-Filmen und Fernsehserien. Dabei nehmen sich die Visionen vom zukünftigen Musikleben im Vergleich zu den kühnen Prophezeiungen über die technologischen und sozialen Fortschritte der Menschheit in anderen Bereichen oftmals erstaunlich konventionell aus. Anhand der inzwischen über 30jährigen Geschichte des wohl prominentesten Zukunftsmythos Star Trek (Raumschiff Enterprise) sollen Entwicklungen und Kontinuitäten im Umgang mit Musiktechnologie in diesem Genre aufgezeigt werden. Neben der vergleichenden Analyse der Titelmusiken und Sound-Effekte der diversen Star Trek-Serien und Filme werden dabei auch Beispiele für musikalische Ereignisse an Bord der Enterprise (Source Music) behandelt...
... where no musicologist has gone before.
Wie sieht das Musikleben der Zukunft aus? Bei dieser Fragestellung sind verschiedene Herangehensweisen zu beobachten.
Für den traditionellen Musikwissenschaftler wie auch für manchen Marketingstrategen in der Musikindustrie scheint sich diese Frage so gar nicht zu stellen. Wozu auch? Das ist doch in unserer Jubliäumskultur ganz einfach: Auch das Jahr 2391 ist wieder ein Mozart-Jahr, das Jahr 2597 ein Schubert- und Brahms-Jahr und falls man dann noch draußen zelten kann, feiern wir Mitte August des Jahres 2269 dreihundert Jahre Woodstock.
Nun gibt es aber auch eine Reihe von Leuten, die es sich vielleicht nicht ganz so einfach machen. Dazu gehört der Osnabrücker Musikwissenschaftler Prof. Bernd Enders. In der abschließenden Podiumsdiskussion des KlangArt-Kongresses 1995 (Digitalisierung der Medien -Digitalisierung der Musikästhetik) benannte er die drei Faktoren, die er für die weitere Entwicklung unserer Musikkultur am bedeutendsten hält: Diese drei Faktoren heißen:
Interaktivität zwischen Mensch und Maschine bis hin zur künstlichen Intelligenz
Globale Vernetzung, also zum Beispiel die Möglichkeit über die Datennetze mit beliebigen Leuten in allen Teilen dieser Welt über Musik zu komminizieren oder eben zu musizieren
Virtual Reality, also die Simulation von musikalischen Prozessen, bzw. Aufführungssituationen, Räumen etc..
Einen anderen, eher kompositionsgeschichtlichen Akzent setzt der französische Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker Pierre Boulez. In seinem Aufsatz „Zukunftsmusik - L’ avenir de la musique?“1 beschreibt er seine Vision von Zukunftsmusik. Demnach zeichnet sich die Musik der Zukunft zusammengefaßt durch folgende Eigenschaften aus
Die Musik der Zukunft ist nicht mehr auf einen Grundton bezogen, also atonal.
Die Musik der Zukunft stützt sich auf die kompositionstechnischen Leistungen des Serialismus, kann dabei aber im Gegensatz zu den Serialisten des 20. Jahrhunderts die Erkenntnisse der Wahrnehmungsforschung besser integrieren.
Soweit die Erwartungen eines Komponisten, kommen wir nun zur ökonomischen Schreckensvision eines Pessimisten: In seinem Beitrag „Music 2017 - A British Dystopia“ 2 entwirft der britische Musikwissenschaftler Philip Tagg 1996 ein düsteres Bild des zukünftigen Musiklebens in England, und wohl nicht nur dort.
Hier einige Eindrücke: Im Jahr 2017 herrscht -so befürchtet Tagg- wenn alles so weiter geht, eine allgemeine Arbeitslosigkeit und zunehmende Verelendung in England:
Musikunterricht in Schulen ist abgeschafft, ebenso jede Form öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens. Privates Musizieren wird zu teuer und bleibt einer kleinen Elite vorbehalten. Gleichzeitig sind heftige Konzentrationsprozesse in der Medien- und Musikindustrie zu beobachten. Der Normalbürger ist auf das begrenzte Angebot eines Kabelnetzmonopolisten angewiesen. Je seltener ein Musikwunsch, desto teurer wird, es den Titel abzurufen.
Sampler werden vom Markt genommen, nachdem Hamamatsu (der Eigentümer von Yamaha und Korg) CBS-Sony aufgekauft hat und Nippon Digital, die zuvor Warner und Akai-Roland gekauft hatten, mit Philips-Polygram fusioniert war. Diese Japanischen Megakonzerne haben danach kein Interesse mehr daran, solche Instrumente zu produzieren, weil es profitabler ist Tonträger zu verkaufen. Soweit Taggs Horrorszenario.
Nun stellt sich natürlich die Frage, welcher dieser drei willkürlich ausgewählten Propheten nun recht hat. Oder keiner? Oder alle drei? Diese Frage kann und will dieser Beitrag allerdings nicht beantworten. Sie erfahren hier also nichts definitives über den Sound der Zukunft, Sie erfahren hier nur einiges über den Sound von Star Trek .
In musikwissenschaftlichen Kreisen stößt man zunächst auf reges Interesse, wenn man auf die Frage nach gegenwärtigen Forschungsgegenständen antwortet, daß man sich mit Star Trek beschäftigt. Diese Aufgeschlossenheit beruht jedoch vielfach auf der Annahme, daß es sich beim „Státrek“ um eine musikhistorisch relevante Persönlichkeit handelt.3 Sobald sich jedoch herausstellt, daß von spitzohrigen Weltraumkreaturen aus dem Fernsehen die Rede ist, reagieren viele unserer Kolleginnen und Kollegen (gleich welchen Alters) mit einer Mischung aus verhaltener Irritation, Enttäuschung und Mitleid. Wie so oft, kann das Desinteresse der musikwissenschaftlichen Gralshüter auch hier als Indikator für die Aktualität und den Verbreitungsgrad eines kulturellen Phänomens gesehen werden:
Der Star Trek Mythos begegnet uns seit 30 Jahren auf dem Bildschirm mittlerweile in vier verschiedenen Serien (Classic/The Original Series, kurz: TOS , The Next Generation, kurz TNG, Deep Space Nine, kurz: DS9 und Voyager, kurz: VGR), von den bislang acht Kinofilmen, Comics, Videospielen, Plastikraumschiffen und zahllosen Merchandizing-Produkten von der Uniform bis zur Tasse ganz zu schweigen.
Angesichts des Ausmaßes und der mannigfaltigen Erscheinungsformen des Star Trek-Fantums sehen einige Kulturwissenschaftler Star Trek als die erste TV-generierte Weltreligion.4 Insofern geht es hier vielleicht auch eher um eine Art Sakralmusik als um Zukunftsmusik.
Man mag zu Phänomenen wie Star Trek als Wissenschaftler stehen wie man will, eines sollte man nicht tun: sie ignorieren. Physiker und Literaturwissenschaftler oder Politologen tun das schon seit längerer Zeit nicht mehr. Star Trek findet inzwischen nicht mehr nur als Gegenstand kurioser Fanrituale Beachtung. Zumindest an nordamerikanischen Universitäten scheint Star Trek einen Spitzenplatz in der Hitparade der Forschungsobjekte für Communication, Cultural oder Gender Studies einzunehmen.5 Auch hierzulande nimmt das akademische Interesse sichtbar zu.6
Aber wer (außer Vulcaniern und Romulanern) spitzt schon die Ohren, wenn es ums Raumschiff Enterprise und seine Nachfolgemodelle geht ? Es ist vielleicht an der Zeit, daß sich auch die Musikwissenschaft einen Stoß gibt.
Dabei sollte es nicht darum gehen, sich von vermeintlich höherer Warte über kurios anmutende Rituale kostümierter Fans zu amüsieren (oder aufzuregen) oder den pädagogischen Wert der Folgen anhand der Häufigkeit von Shakespeare-Zitate in den Drehbüchern der Serie zu bestimmen.
Besonderes Interesse verdienen vielmehr die Rückwirkungen der Star Trek Fiktion auf die Realität. Als Paradebeispiel wird hier immer die Ähnlichkeit zwischen den aufklappbaren Sprechfunkgeräten der Enterprise-Crew und dem Design heutiger Handy-Telephone, die Übernahme des Führungsstil der Sternenflotte in amerikanischen Militärakademien und Managerschulen oder die Durchdringung der Alltagssprache mit Star-Trek Idiomen (z.B. „beam me up“) angeführt. Unbestreitbar ist auch der Einfluß der Star Trek-Fans auf die Namensgebung des ersten Space Shuttles der NASA, nämlich Enterprise. Konsequenterweise war vor dem Start der Raumfähre die Titelmusik zu Star Trek zu hören.
Komponist der Titelmusik zur „klassischen“ Star Trek Serie aus den 60er Jahren ist Alexander Courage, ein vielbeschäftigter Film- und Fernsehkomponist, der unter anderem auch für die Waltons und Dr. Doolittle komponierte. Inzwischen ist er ist 78 Jahre alt, aber immer noch als Orchestrator tätig. Ihm ging es bei dieser musikalischen Visitenkarte der Serie nicht darum, durch elektronische Klänge eine futuristische Atmosphäre zu schaffen. Er hatte bei der Komposition vor allem zwei Dinge im Kopf: Adventure and Speed.7
Courage ließ eine alte schottische Melodie von der Sopranistin und späteren Bess-Darstellerein in Vokalisen singen8 und mischte noch Flöte, Vibraphon und eine Yamaha-Orgel dazu . Das Ergebnis nennt er heute den „What is that?-Sound“ Dieser Sirenengesang wurde dann mit einer zügigen vorwärtstreibenden Begleitung des 22köpfigen Studioensembles versehen.
Das Arrangement ist für diese Zeit nicht ungewöhnlich und weist in einigen Punkten Parallelen zur Titelmusik der I Love Lucy Show auf. Diese Serie wurde wie Star Trek von der Produktionsfirma DESILU hergestellt.
Im Gegensatz zur I love Lucy-Melodie gibt es bei Star Trek noch eine Einleitung, in der feierliche Fanfaren in freirhythmische, geheimnisvoll anmutende Klanglandschaften aus Glockenspiel und Holzbläserclustern stoßen. Darüber hört man im Original die mitreißende Stimme des Cpt. Kirk-Darstellers William Shatner.9
Also kein Großaufgebot von Sinusgeneratoren, Theremin, Ringmodulatoren oder Bandschleifen. Damit lag Courage jedoch genau auf der Linie des Star Trek Schöpfers und Produzenten Gene Roddenberry. Roddenberry`s musikalische Maxime für die Serie und Forderung an seine Komponisten ist überliefert: „Don’t give us electronic beep-beep-beep music; give us Captain Blood!“10 (eine Anspielung auf Korngolds Musik zum Errol Flynn-Film Captain Blood, deutscher Titel: Unter Piratenflagge, von 1935). Roddenberry bestand dann auch darauf, daß der Sopran, anstatt im geheimnisvollen Mixturklang aufzugehen, bei einer Neuabmischung in den Vordergrund gerückt wurde. Damit sollte die Vorspannmusik seiner Meinung nach für das männliche Publikum attraktiver klingen.
Courages Komposition ist also weniger spekulative Zukunftsmusik. Sie entspricht dafür eher der Corporate Identity der produzierenden Firma und trifft damit den Tanzmusik-Tonfall ihrer Zeit, nämlich der frühen 60er , wenn nicht sogar noch den der 40er.
Fred Steiner11, ein weiterer Star Trek Komponist der ersten Stunde, hat sich Jahrzehnte später mit Roddenbery über dessen konservative Einstellung zur Musik unterhalten. In diesen Gesprächen begründete Roddenberry seine Haltung damit, daß er das Publikum nicht mit unverständlicher Musik überfordern wollte, weil er meinte, die Leute schon zur Genüge mit unbekannten Lebensformen und bizarren fremden Landschaften zu strapazieren. Roddenberrys Filmmusikästhetik läßt sich etwa so zusammenfassen: Je unglaubwürdiger die Handlung, desto vertrauter (sprich romantisch-symphonisch) muß die Musik klingen.12
Co-Produzent Bob Justman nannte das Ergebnis treffend „Fleisch und Kartoffel-Musik“.. Auch die Tatsache, daß im Zusammenhang mit Zeitreisen und anderen dramaturgischen Kniffen die Handlung nicht weniger Episoden in vergangenen Epochen angesiedelt waren, trägt zur verhältnismäßig bodenständigen Machart der Star Trek Soundtracks bei.
Das heißt, es gab zwar kein ausdrückliches „Elektronik-Verbot“, allerdings wurde elektronisches Instrumentarium in den Partituren der acht Komponisten der klassischen Serie entweder völlig vermieden oder aber -wie in der Titelmusik- nur als Bestandteil eines Mixturklangs zugelassen. Eine der wenigen Ausnahmen stellt z.B. die Verwendung einer Yamaha E3 Orgel als Soloinstrument im Soundtrack zur Episode The Empath von 1968 dar.
Zehn Jahre später 1978 unternimmt die Crew um Cpt.Kirk den Sprung auf die Kinoleinwand: Star Trek - The Motion Picture. Der Komponist heißt diesmal Jerry Goldsmith.
Auf sein Konto gehen z B. die Partituren zu Papillon, Poltergeist und Das Omen). Anstatt auf die alte Star Trek-Melodie seines Freundes „Sandy“ Courage zurückzugreifen, hat er es sich nicht nehmen lassen, eine komplett neue Ouvertüre zu komponieren. Wer nun aber musikalischen Futurismus erwartet hätte -was immer das sein mag- sieht sich enttäuscht. Anders als in seiner experimentierfreudigen Partitur zu Planet of the Apes (Planet der Affen) bietet Goldsmith nun handwerklich makellose spätromantische Symphonik Marke Cajkovskij.
Es geht sozusagen mit der Materialstandselle gemessen von der BigBand-Ära sogar noch zurück ins 19. Jahrhundert. Aber das ist eben die typische Abenteuerfarbe, die Hollywood in diesen Jahren zu bieten hat.
Weitere neun Jahre später startet 1987 mit Star Trek -The Next Generation (später auch in Deutschland als: Raumschiff Enterprise - Das nächste Jahrhundert) die zweite TV-Serie. Die neue Crew unter Cpt. Picard mit Commander Riker, dem Klingonen Worf, und dem Androiden Data wird musikalisch mit einer Kombination aus dem Intro der alten Serie und dem symphonischen Marsch der Kinofilme angekündigt. Dieses Arrangement stammt von Dennis McCarthy. Das Courage-Intro erscheint hier genüßlich zerdehnt. Anstelle von Holzbläserclustern und Glockenspiel tritt das breite Frequenzspektrum eines Synthesizers - zunächst ganz tief und ganz hoch, also viel Platz für uns Hörer in der Mitte, freischwebend und ohne festes Metrum. Das ist bekanntlich ein beliebtes Mittel zur musikalischen Vorstellung tiefer Ozeane, unberührter Landschaften oder eben des Weltalls unendlicher Weiten. Einen ähnlichen Effekt haben wir etwa zu Beginn von Mahlers erster Sinfonie13 aus dem Jahre 1888, wo es auch eine verwandte Intervallkonstellation gibt, was uns dazu anregte, die Tonspur des Vorspanns gegen die ersten Takte aus Mahlers Symphonie auszutauschen.
Bei McCarthy gibt’s dazu noch dezentes Klingeling von Klangstabglissandi und schweres Blech, sobald das Schiff in Blickfeld rückt. Außerdem evozieren Soundeffekte den Eindruck klingender Kometen mit vorbeirauschendem Sternenstaub. Es geht an dieser Stelle nicht darum, zu entscheiden, ob wir es bei diesem Intro schon mit einer modernen Realisation der antiken Vorstellung von Sphärenmusik zu tun haben oder doch nur mit der Synthesizer- Fassung von Mahlers Erster mit ein wenig Zarathustra-Fleischeinlage. Das bleibt Ihnen überlassen. Wichtiger erscheint uns, daß auf dieses Intro als Hauptteil wieder ein reiner Orchestermarsch folgt, der mit experimenteller Elektronik garantiert nichts mehr am Hut hat.
Das läßt sich, wie unsystematische Versuchsreihen u.a. beim KlangArt-Publikum ergaben, offenbar ohne größere semantische Verluste beispielsweise durch einen Ausschnitt aus dem 3. Satz von Cajkovskijs Páthetique ersetzen.(Takt 229ff).
Somit entsteht der Eindruck, daß es sich auch bei der Titelmusik zur Next Generation vornehmlich um ein Spiel mit etablierten musikalischen Markenzeichen handelt.
Auch bei der handlungsbegleitenden Musik zwischen Vor- und Abspann waren Experimente eher die Ausnahme. Es blieb beim symphonischen Stil. Synthetische Klänge kamen hauptsächlich in den Klangfarben des klassischen Orchesters als Ersatz oder Verstärkung zum Einsatz..
Spätestens mit der neuen Generation von Produzenten wurde die Musik zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Einprägsame Motive oder gar mitreißende Melodien und perkussive Elemente waren und sind bei Produzent Rick Berman nicht gern gesehen: „I don’t want the music in our face, I want it to be wallpaper“,14 hat er Dennis McCarthy wissen lassen. Er wünschte sich Streicherteppiche und zwar molto adagio. McCarthy und andere haben sich mit diesen Richtlinien mehr oder weniger arrangiert.
In den ersten Jahren der Serie wechselte sich McCarthy mit dem Komponisten Ron Jones ab. Dem fiel es etwas schwerer, sich mit dem Geschmack der Firmenleitung zu anzufreunden. Er war der Überzeugung, daß eine Serie, die im 24. Jahrhundert spielt, auch danach klingen sollte:
„I feel that given that the show was about the future, that electronic instruments would be like traditional insturmentation. To not use them would be inaccurate and wrong for the period. They had to create a vision of the future with the graphics and effects, why should the music be old fashioned?“15
Nun war zwar die symphonische Lethargie nicht vertraglich festgelegt und die Produzenten ließen an guten Tagen auch mal in einer Episode außereuropäische Instrumente oder längeren Synthesizer-Einsatz durchgehen, solange die Einschaltquoten stimmten oder wenn sie mit anderen Dingen beschäftigt waren. Das waren aber Ausnahmen. Jones bekam zunehmend Probleme mit seinen Auftraggebern, die seine Neutönerei schlicht als „störend“ empfanden. Jones wehrte sich: “This is Star Trek, the future of mankind. Music shouldn’t be wallpaper.“16
Die Chefetage der Firma Paramount erinnerte ihn immer mehr an die wenig konzilianten Borg-Monster aus der Serie mit ihrem unsympathischen Wahlspruch Resistance is Futile - Widerstand ist zwecklos. So war es denn auch: Nach Folge 95, es war seine 42. Komposition für Star Trek, trennte sich Paramount von Ron Jones.
Eine detaillierte Darstellung der weiteren Entwicklung bis hin zu Deep Space Nine und Voyager würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Am Grundproblem , wenn man es denn überhaupt als Problem empfindet, hat sich nicht viel geändert.17
Anders als bei der Titelmusik legte Gene Roddenberry bereits bei der ersten Konzeption der Soundeffekte für den Pilotfilm The Cage 1965 schon mehr Wert auf Innovation. Hier gab es dann auch viel Unerhörtes und übrigens auch Unhörbares zu hören.
Mit unhörbar sind hier zum Beispiel sämtliche Soundeffekte gemeint, die sich im luftleeren Raum abpielen, so z.B. das Geräusch der vorbeifliegenden Enterprise im Vorspann oder der Krach, den Laserschüsse und Photonentorpedos auch außerhalb des Schiffes verursachen.
Dies ist nun beileibe kein Besonderheit von Star Trek. Daß es auch kracht, wo eigentlich kein Schall transportiert wird, ist in der Science Fiction-Filmsprache ein alter Brauch. Der Westercappelner Sound-Design-Theoretiker Claudius Reinke spricht in solchen Fällen übertriebener Eindeutigkeit treffend von „geschwätziger Effektüberzeichnung“18. Nur der Regisseur Stanley Kubrick hat sich 1968 in seinem Klassiker 2001 etwas mehr zurückgehalten und auch mal die naturbelassene Stille des Weltalls auf die Leinwand gebracht.19
Mit Unerhört sind Geräusche zu bislang unbekannten Prozessen und Bewegungsabläufen gemeint. Das können auch so scheinbar alltägliche Dinge sein wie vollautomatische Türen:
Türgeräusch (TOS), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Betrachtet man einen dieser Türgeräusche der Originalserie (TOS) unter akustischen Gesichtspunkten, so läßt sich im Spektogramm ein gleichbleibendes Maximum bei ca. 3000 Hz erkennen, das zum Ende etwas abflacht. Der Klang ist stark rauschhaltig (kontinuierliches Spektrum bis ca. 6 kHz) und durch einen etwas abrupten Schnitt bei 800 ms in zwei Teile getrennt, nach dem das Geräuschhafte in ein Quitschen übergeht. Der Einschwingvorgang ist mit einer Dauer von ca. 100 ms recht sanft. Das Ausgangsmaterial ist ein rückwärts abgespielter Luftgewehrschuß (dies findet man ausnahmsweise auch im CD-Booklet (Crescendo: STAR TREK Original Series Sound Effects GNP8010) beschrieben).
Wenn man dieses Türgeräusch aus dem Jahre 1965 bzw. 2265 (TOS) mit dem Türgeräusch der späten 80er Jahre bzw. mit den 2360er Jahren vergleicht (TNG), fällt zunächst wieder ein stark rauschhaltiger Klang (kontinuierliches Spektrum bis über 11 kHz) mit abfallendem spektralen Maximum auf (von ca. 6000 Hz bis ca. 3000 Hz) auf:
Türgeräusch (TNG), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Das Quietschen im zweiten Teil des Klanges wurde zwar übernommen, jedoch ist der Klang weniger zweigeteilt als der erste (durch den stetig fallenden Formantbereich, der übergangslos in ein Quietschen ausläuft (wieder erkennbar nach einer knackähnlichen Spektrallinie bei ca. 1 s). Im Gegensatz zum Einschwingvorgang der alten Tür verläuft hier nun der Klangbeginn sehr abrupt).
Es ist davon auszugehen, daß der zuvor gehörte Türklang von 1965 als Ausgangsmaterial genommen wurde, da das Quietschen am Ende gleich bleibt und der Ausgangsklang am Anfang nur zusätzlich mit einem breitbandigen, abrupt einsetzenden Rauschen überlagert wird. Das hieße: Im Vergleich zum langsamen Einschwingvorgang der alten Tür wird hier die explosionsartige Entladung der Türpneumatik besser simuliert, ohne daß vom vertrauten Klang der Vorgängerserie zu weit abgewichen wird.
Das Türgeräusch hört sich nun vielleicht aggressiver an, oder sollte man sagen technisierter? Es sind schließlich 100 Jahre in der Geschichte der Türenfabrikation vergangen.
Kommen wir nun zum wohl bekanntesten der Spezialeffekte in Star Trek: das Beamen.
Die folgende Abbildung zeigt das erste Beamen der Fernseh(welt)geschichte aus dem bereits erwähnten Pilotfilm zur klassischen Serie:
Wer sich etwas mit Star Trek auskennt, bemerkt, daß sich diese Art der Fortbewegung hier noch relativ mühsam gestaltet: Im Transporterraum herrscht ein ziemlicher Lärm, die Techniker betätigen schwergängige Schalter und Hebel. Das ganze dauert ziemlich lange und bei der sog. Dematerialisation gibt es ein unangenehmes Quietschen:
Beamen (zwei Personen bedienen angestrengt Schalter und Hebel) im Pilotfilm The Cage (1965)
In den späteren Folgen mit Cpt. Kirk geht die Angelegenheit schon etwas eleganter vonstatten:
Beamen (eine Person bedient beidhändig einen Schieberegler) in TOS (1966)
Das Beamen in der Next Generation geschieht schließlich äußerst entspannt, es wird nur noch ein einziger Regler bewegt, und hierzu genügen die Fingerspitzen an der Hand einer einzigen Person:
Beamen (eine Person bedient mit Leichtigkeit einen Schieberegler) in TNG (1990)
Die Spektogramme der Beam-Klänge ergeben folgendes Bild:
Beamen (TOS), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Der Beam-Klang der originalen Startrek-Serie (TOS) ist zu weiten Teilen dem Komponisten Alexander Courage zu verdanken: Jedenfalls war der Grundstein dieses Klangs ein Band mit der Aufnahme eines seiner Soundtrack-Cues (welcher ist leider nicht bekannt). Im Spektogramm sieht man nur noch den stark verwaschen klingenden Hallanteil, der zum Klangende hin etwas metallisch klingt (eventuell kamen durch eine zu starke Verhallung Verzerrungen hinzu, oder der Klang wurde durch einen Ringmodulator geschickt).
Je nach Filmausschnitt schwankt die Länge des Beam-Klangs zwischen knapp 13 und knapp 26 Sekunden. Der Teiltonbereich geht in der Höhe selten über 5 kHz hinaus (Frequenzen oberhalb dieser Grenze werden durch andere Maschinengeräusche im Transporterraum verursacht, hier zwischen 0 und 1 Sekunden, sowie zwischen 6 und 7 Sekunden).
Neben dem Hallanteil des Courage-Cues besteht der Klang mindestens aus noch zwei weiteren (vermutlich später hinzugefügten) Komponenten: Zum einen ist es ein während des ganzen Klanges vorhandenes amplitudenmoduliertes Rauschband zwischen 200-300 Hz (fmod = ca. 10 Hz), das dem Geschehen einen „wabernden“, diffusen Eindruck vermittelt. Zum anderen ist es ein quitschendes Geräusch zum Ende des Klanges (im Spektogramm sieht man es nach der 10. Sekunde als bogenförmige Linie, die von ca. 2500 Hz auf ca. 3000 Hz ansteigt (bei 11,5 Sekunden) und von dort aus wieder auf ca. 2500 Hz abfällt.
Der Beam-Klang der „Next Generation“ (TNG) im 24. Jahrhundert gestaltet sich hingegen viel moderner und unkomplizierter:
Beamen (TNG), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Vermutlich wurde er mit einem FM-Synthesizer wie dem DX7 oder dergleichen hergestellt und dort wahrscheinlich aus einer Trägerwelle und ein bis zwei Modulatoren zusammengesetzt. Der Klang hat nun nur noch eine Dauer von ca. 5 Sekunden aber dafür ein für Frequenzmodulationen typisches breites Spektrum mit einem Maximum bei ca. 500 Hz. Zum Ende des Klanges (bei ca. 2,7 Sekunden) wurde die Amplitude der modulierenden Schwingung erhöht, was zu einer Verbreiterung des Spektrums führt. Weitere Komponenten (wie das tiefe Tremolo oder das Quietschen am Ende des alten Beam-Klanges) wurden hier nicht hinzugefügt. Das Beam-Verfahren scheint sich also auch aus akustischer Sicht deutlich beschleunigt und wohl auch vereinfacht zu haben.
Interessant erscheint hier noch der Vergleich mit dem klingonischen Beam-Sound:20
Beamen (TNG, Klingonen), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Es ist nicht zu übersehen (und -hören), daß zwischen der Funktionsweise der klingonischen und der föderierten Transporttechnologie Parallelen bestehen. Jedenfalls sind sie aus dem gleichen Klangmaterial gewonnen. Um genau zu sein, handelt es sich beim klingonischen Beam-Sound um eine nochmals frequenzmodulierte Variante des gleich langen Next-Generation Beams (TNG, s.o.). Diese DX-Synthesizer-typische Modulation baut sich hier in den ersten 2-3 Sekunden auf).
Durch die zusätzliche Modulation klingt diese Beamen noch schärfer und hat eine größere Rauhigkeit als das TNG-Beamen. Auch hier scheint das Klischee vom harten, matratzenverachtenden Kriegervolk der Klingonen seine klanglichen Spuren hinterlassen zu haben.
Einen ähnlichen Zusammenhang kann man auch beim Sound des Sensor-Alarms beobachten:
Der Föderations-Alarm der Next Generation ist ein 400 ms kurzes Piepen.
Alert (TNG), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Dieses Piepen oder Surren, das das ganze Spektrum musterförmig ausfüllt, wurde durch einen schnellen Wechsel zwischen zwei Tonhöhen erzeugt. Vom klanglichen Eindruck her liegt der dringende Verdacht nahe, daß das Geräusch direkt von einem Telephon der 80er Jahre aufgenommen wurde.
Das klingonische Alarmsignal ist nichts anderes als die um ca. eine Duodezime heruntertransponierte Variante des Föderations-Alarms: Es erklingt um dieses Intervall tiefer und mit einer Dauer von 1,2 Sekunden ca. dreimal so langsam:
Alert (TNG, Klingonen), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Der Föderations-Sound ist also jeweils die akustische Norm und der Klingonenklang nur die schroffe bzw. behäbige Deformation.
Hier haben wir es vielleicht mit einem der subtileren Beispiele für filmische Parallel-Montage zu tun.- Der letzte Schrei in Sachen Political Correctness ist das jedoch sicherlich nicht.
Es stellt sich vielleicht die Frage: was haben diese Effekte mit Musik zu tun?
Sowohl auf der Produktions- als auch auf der Rezeptionsebene gestaltet sich die Unterscheidung zwischen Musik und Soundeffekt immer schwieriger:
Auf der Produktionsseite war es schließlich Courage, der den Vorschlag machte „nach Feierabend“ mit einigen Musikerkollegen ein paar ungewöhnliche Klänge zu produzieren, die dann, nach mehr oder weniger intensiver Nachbearbeitung an Schneidetisch und Hallspirale, zu Aufzuggeräuschen oder zum akustischen Ambiente fremder Planeten wurden.
Auf der Rezeptionsseite fällt es uns schwer, diese Unterscheidung aufrecht zu erhalten, seit wir im Zuge unserer Recherchen für diesen Beitrag Leute kennengelernt haben, bei denen die CDs mit Star Trek-Soundeffekten im Regal zwischen der letzten Björk und Flötenkonzerten von Vivaldi steht und auch des öfteren von Anfang bis Ende durchgehört wird.
Ein Musterbeispiel für das Zusammenwirken von Drehbuchautoren, Design-, Musik- und Soundeffektabteilung ist die Episode Amok Time aus den 60er Jahren.
Darin begegnen wir Mr. Spock auf seinem Heimatplaneten Vulcan. Dort schlägt er zur Einleitung eines Rituals auf einen sechseckigen Gong:
Mr. Spock und der vulcanische Gong in Amok Time/TOS
Der Klang eines solchen Instruments müßte dem einer asiatischen Plattenglocke entsprechen. Zu hören ist jedoch eine Kombination aus einem Gongschlag und einer E-Gitarre, deren tiefe E-Saite zum Klangbeginn um ca. einen Halbton in der Art des Pitch Bendings nach oben gezogen wird.21
Im Spektogramm stellt sich der Klang folgendermaßen dar:
Vulcanischer Gong (TOS), FFT: 22 kHz, 16 Bit, 512 Pt., Window: 23 ms, Df: +/- 21 Hz, Dt: +/- 6 ms
Unter dem dichten, fast kontinuierlichen, typischen Spektrum des Gongklangs (Teiltonspitzen reichen bis über 10 kHz) zeigt sich das harmonische Spektrum des E-Gitarrenklangs mit einem in der Amplitude besonders prominenten zweiten Teilton (in der ersten Sekunde des Klanges). Dieses verblaßt zum Ende der ersten Sekunde und in der zweiten Sekunde ist nur noch der Hallanteil des Gitarrenklangs sicht- und hörbar, während der Gongklang zu dieser Zeit gerade erst seinen stärksten Teiltonanteil erreicht.
Ein einfacher Gongklang wäre an dieser Stelle wahrscheinlich zu vertraut ausgefallen (die Szene spielt immerhin auf einem anderen Planeten), ein vollständig anderer Klang wäre auf der anderen Seite zu unpassend gewesen, da das Instrument zu viele Gong-ähnliche Merkmale besitzt. Aus diesem Grund muß dieser Gong eben auch wie ein Gong klingen, aber da er auf einem fremden Planeten und in der Zukunft angeschlagen wird, wird dem vertrauten Gongklang mit der E-Gitarre noch etwas Fremdes, im Bild nicht Sichtbares hinzugefügt .
Mit diesem Gongschlag ist dann auch die dritte und letzte Runde der Betrachtungen zum Star Trek Sound eingeläutet.
Kommen wir nun schließlich zu einigen Formen des Musiklebens an Bord der Enterprise und andernorts.
Wer schon einmal Szenen gesehen hat, die in der Mehrzweckhalle der Enterprise, einer Mischung aus Bar und Veranstaltungszentrum mit dem Namen 10 forward spielen, wird sich evtl. darüber gewundert haben, daß es dort keine Musik zu hören gibt. Über die Gründe läßt sich spekulieren. Ein intergalaktisches Gesetz zum Schutze der Jugend gegen Backgroundmusik in der Öffentlichkeit? Man weiß es nicht. Tatsache ist jedoch, daß -wie Ron Jones uns wissen ließ - durchaus einige Soundtrack-Cues mit futuristischer Barmusik für diese Szenen komponiert wurden. Sie wurden jedoch grundsätzlich von der Produktionsfirma abgelehnt - im Gegensatz zur deutschen Serie Raumschiff Orion, wo im Starlight Casino des öfteren zum Peter Thomas-Sound getanzt wird. Solche Experimente erschienen bei Star Trek wohl zu gewagt.
In der Episode Sarek ist hoher Besuch auf der Enterprise: Botschafter Sarek vom Planeten Vulcan (übrigens Spocks Vater) hat sich angesagt. Ihm zu Ehren gibt es ein Konzert:
Konzert für Botschfter Sarek in Sarek (TNG)
Dieser Szene lassen sich allerlei Informationen über das zukünftige Musikleben entnehmen:z.B.
Auch im 24. Jahrhundert scheinen sich das Konzert als Kulturform mit den dazugehörigen Ritualen im großen und ganzen erhalten zu haben.
Europäische Streichquartette aus dem 18. Jahrhundert erfreuen sich noch immer einer gewissen Beliebtheit - und das auch bei Vulcaniern.
Der Android Data ist auf die Reproduktion der Personalstile von nicht weniger als 300 Geigern programmiert. In die engere Auswahl kommen dabei neben Heifetz und Menuhin zwei Geiger (oder Geigerinnen) die wir heute noch nicht kennen (Grakteh und Tataglia).
Offenbar hat sich eine Aufführungstradition durchgesetzt, in der bei Mozarts Dissonanzenquartett, KV 465 die namensgebende dissonante Einleitung weggelassen wird. (Vermutlich belegen neue Quellenfunde der fleißigen Mozartphilologen im 21. Jh., daß sie doch nicht von Mozart stammt).
In den rund 180 Folgen der Next Generation lassen sich immer wieder Kammermusikkonzerte mit wechselnden Besetzungen ausfindig machen. Data, der mindestens auch Oboe und Gitarre spielt, ist übrigens immer mit von der Partie. Das heißt jedoch nicht, daß der Rest der Crew wie man früher sagte „unmusikalisch“ wäre. Sowohl Cpt. Picard als auch sein erster Offizier Riker spielen jeweils zwei Instrumente: Picard Klavier und Flöte, Riker Posaune und Keyboards. Das jüngste Werk, das in TOS und TNG bei öffentlichen Konzerten zu hören ist, stammt vom 1935 verstorbenen Johan Halvorsen. Allerdings handelt es sich dabei auch um eine stiltreue Passacaglia und Sarabande über ein Thema von Georg Friedrich Händel.
Serielle Musik im engeren Sinne, um auf Boulez zurückzukommen, findet sich nicht im Repertoire der Kammermusikabende. Auch nicht bei den weitaus zahlreicheren Szenen mit privater Haus- bzw. Schiffsmusik oder spontanen musikalischen Begegnungen, wie jener mit Spock und Lt. Uhura auf der alten Enterprise in der Episode Charlie X, bei der auch die sogenannte vulcanische Harfe erklingt, die in Wahrheit eine Variante der Laute mit integrierten Hammond-Sounds ist:
Spock begleitet Uhura in Charlie X (TOS)
Als weltoffener Musiker läßt sich Spock in The Way to Eden auch auf eine Session mit einer jungen Speichenradspielerin ein, in Unkenntnis der Tatsache, daß es nur darum geht, ihn und die Mannschaft abzulenken. Denn die Freunde dieser jungen Musikerin geben sich zwar als friedliche Ökos, sind aber in Wahrheit allesamt gefährliche Maschinenstürmer und Zivilisationsfeinde, die nur das Schiff kapern wollen, wobei ausgerechnet Ultraschall als gefährliche Waffe benutzt wird.
Session mit Spock in The Way to Eden (TOS)
Diese Musical-artige Folge, in der ständig gesungen wird, war wohl im Jahr der Erstausstrahlung (Februar 1969) als eine Art warnendes Lehrstück für die Hippies intendiert, jedenfalls geht die Sache für die jungen Leute gar nicht gut aus.
Vielleicht auch aufgrund solcher negativen Erfahrungen zeigt sich Spock später bei einer Zeitreise ins San Francisco der frühen 80er Jahre (im Kinofilm Star Trek IV: The Journey Home) bei einer Begegnung mit einem Punker deutlich weniger aufgeschlossen gegenüber Formen jugendlicher Protestmusik.
Ähnlich verständnislos zeigt sich Cpt. Picard in der Episode Suddenly Human angesichts der musikalischen Präferenzen seines talarianischen Pflegesohns: „Computer, turn of that noise!“
Sieht man vom einmaligen Experiment des zuvor besprochenen Space-Hippie-Musicals The Way to Eden ab, so begegnet uns zeitgenössische Musik des 23. und 24.Jahrhunderts in der Regel nur als Musik fremder Planeten. So z.B. das Alba Ra, (so heißt die von Picard verschmähte talarianische Gattung22) und die Klingonische Oper23.
Die Erdbewohner selbst sind, so scheint es, nur mit der Reproduktion bereits bestehender Musikformen beschäftigt.
Dabei ist dann aber durchaus die eine oder andere Innovation zu verzeichnen:
So ändert etwa der sprachgesteuerte Computer auf Wunsch von Cpt. Picard, der sich in seiner Freizeit als Flötist an einem Mozart-Trio versucht, ganz im Sinne der von Enders prophezeiten verfeinerten Interaktivität auf Zuruf die begleitende Klarinettenstimme in eine Oboenstimme. (Diese Editierfunktion ist schon etwas komfortabler als z.B. bei einer Masterpiece CD-Rom).
Picard mit Ressikanischer Flöte in A Fistful of Datas (TNG)
Auch im Klavierbau lassen sich Neuerungen feststellen: Hier ein handliches Keyboard mit aufrollbarer Klaviatur als ferner Nachfahre eines Gavioli-Reiseharmoniums (Mitte 19. Jh.):
Neela Daren mit Reisekeyboard in Lessons (TNG)
In einem seiner vergleichsweise seltenen entspannteren Momente betrachtet der erste Offizier William Riker die holographische Projektion eines Rahmenharfenistinnen-Duos, die er mit einer Fernbedienung steuert. Sehen wir hier vielleicht auch die Zukunft des Musikvideos oder ist es doch eher die Rückkehr zur Figuren-Spieldose mit antiken Motiven?
Holographische Projektion in Haven (TNG)
Die größte Errungenschaft auf dem Sektor der Unterhaltungselektronik scheint allerdings sowohl unter dem Aspekt der Interaktivität als auch dem der Virtual Reality das Holodeck zu sein: Hier lassen sich nicht nur virtuelle Musizierpartner generieren, auch das Ambiente und - ein Wunschtraum mancher Intendanten - sogar das Publikum ist quasi vollständig editierbar.
Riker versetzt sich in 11001001 nach New Orleans, wählt ein Jazz-Trio im Stile der frühen 50er, gesellt sich mit der Posaune dazu und reduziert dann seine Zuhörerschaft auf die Projektion seiner brünetten24. Traumfrau. Musiktechnologie fungiert hier als Hilfsmittel für „historische Aufführungspraxis“ von Jazzballaden25 bzw. als Vehikel zur Umsetzung von Männerphantasien.26
Riker und Traumfrauprojektion in 11001001 (TNG)
Bemerkenswert erscheint, daß Beispiele für das heute vieldiskutierte Musizieren oder Musik erleben über weite Entfernungen fehlen. Es dominiert traditionelle Face-To-Face-Hausmusik und Ltn. Worf scheint auch im Zeitalter des Holodecks, in dem es vermutlich auch möglich wäre sich live und dreidimensional in eine aktuelle klingonische Operninszenierung einzuloggen, die Wiedergabe rein akustischer Aufzeichnungen vorzuziehen. Die dafür eingesetzten Speichermedien erinnern entfernt an heutige Disketten.
Isolinear-Chips (TNG)
Das Abrufen von Holodeck-Programmen oder Audio-Files scheint übrigens zumindest auf der Enterprise kostenlos zu sein. Auch sonst scheint die ökonomische Krise, die Tagg beschrieben hatte, inzwischen überwunden. In einem Punkt hätte Tagg jedoch recht behalten: Es gibt offenbar keine Sampler mehr. Aber auch Sequencer und Turntables scheinen aus der Mode gekommen zu sein.
Von den Fähigkeiten des Androiden Data als Instrumentalinterpret war bereits die Rede. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß er bei Bedarf wahlweise auch als Idealhörer im Sinne Adornos einsetzbar ist, da er sogar in der Lage ist, mehrere gleichzeitig klingende Stücke zu analysieren. Über die Frage, nach welchen Kriterien und unter welchen Voraussetzungen diese Analysen erfolgen, schweigen sich die Drehbücher allerdings aus.27
Im vorläufig Kinofilm Star Trek First Contact hören wir, wie bei der Erfindung des Warp-Antriebs im Jahr 2172 u.a. zu den Klängen von Roy Orbison getrunken und getanzt wird. Das entspricht einer historischen Distanz von ziemlich genau 100 Jahren. Analog dazu müßten auf unseren Feten heute alte Schellack-Platten mit Caruso laufen.
Was wurde aus den Emanzipationen von Dissonanz, Geräusch und Rhythmus? Warum wagt sich Star Trek einerseits an für Hollywood brisante Themen wie Nordirland und Homosexualität, zensiert andererseits die dissonanten Takte eines Mozart-Quartetts?
Warum ist trotz globaler Vernetzung im 24. Jahrhundert die Musik des europäischen Bürgertums des 18. und 19. Jahrhunderts und der Jazz der 50er Jahre so dominierend, während Traditionsstränge in der Musik Afrikas oder Asiens in dieser Zeit offenbar keine Rolle mehr spielen? Und, wenn man diese Ausgrenzung akzeptiert: Wo bleibt bei den zahllosen Rekursen auf die Vergangeneit die Musikgeschichte des 20 Jahrhunderts in Star Trek? Wo bleiben Schönberg und die Fugees, die Beatles und Boulez, Hendrix und Heino? Sind die tatsächlich alle schon vergessen, während man Dvorak und Heifetz noch kennt? Warum sehen wir die Besatzung gelegentlich beim Langsamen Foxtrott aber niemals auf einem Rave? Warum spielt sich der musiktechnologische Fortschritt nur im Bereich der Reproduktion jahrhundertealter Werke ab? Das kann doch nicht nur am Copyright liegen.
Es geht hier jedoch nicht darum, auf den bösen Produzenten oder phantasielosen Autoren rumzuhacken: Gene Roddenberry hat einmal ganz unverhohlen gesagt, daß der einzige Zweck von Fernsehserien darin besteht Deodorants zu verkaufen.
Wenn wir davon ausgehen, daß Science Fiction in erster Linie Auskunft über die Befindlichkeit der Zeit gibt, in der sie geschrieben und/oder verfilmt wird, dann scheint der schmale Ausschnitt von Musikkultur, der uns in Star Trek geboten wird, ein Beleg dafür zu sein, daß mit unserem Verhältnis zu einem breiten Spektrum von Musikformen in unserer Zeit einiges nicht stimmt.
Veranstaltungen wie die KlangArt bieten die Chance, solche Berührungsängste (bei Deodorantproduzenten und -konsumenten) abzubauen. Nutzen wir sie!
Asherman, Allan (1988): The Star Trek Interview Book. London (Titan) 1988.
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Crescendo: STAR TREK Original Series Sound Effects GNP8010
Crescendo: STAR TREK Generations - Dennis McCarthy GNP8040
Markus Heuger, M.A., geb. 1968 in Glandorf / Niedersachsen. Studium der Musikwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Universtät zu Köln und am Institute of Popular Music, Liverpool. Magisterabschluß Februar 1996. Freie und feste Mitarbeit bei diversen Tageszeitungen, Fachzeitschriften, Musikverlagen und Rundfunkanstalten. Forschungsprojekte und Veröffentlichungen u.a. zum Popularitätsbegriff, zur Beatles-Rezeption und zum Musikdiskurs im Internet.
Homepage: http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/forum/heuger/index.htm
Christoph Reuter, Dr. phil., geb. am 28.11.1968 in Duisburg, studierte an der Universität zu Köln von 1989-1994 Musikwissenschaft (Schwerpunkt musikalische Akustik), Germanistik und Pädagogik.
1996: Dissertation über die Heraushörbarkeit der abendländischen Orchesterinstrumente aus dem musikalischen Zusammenspiel, gefördert mit einem Stipendium nach dem GrFG.
Seit Dezember 1996: freie Mitarbeit und Lehrtätigkeit im Bildungszentrum für informationsverarbeitende Berufe in Hannover (Multimedia-Programmierung, Audio, MIDI und Harddisk-Recording).
Von April bis September 1997 Mitarbeit in der Multimedia-Abteilung des Musikverlags Schott Musik International in Mainz (Internet und Multimedia-Programmierung).
Seit Oktober 1997 freier Mitarbeiter bei Schott Musik International.
Ab April 1998 Assistent in der akustischen Abteilung des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität zu Köln.
Buch-Publikationen:
Der Einschwingvorgang nichtperkussiver Musikinstrumente (Lang, Frankfurt 1995)
Die auditive Diskrimination von Orchesterinstrumenten (Lang, Frankfurt 1996)
1 Boulez 1992
2 Tagg 1997
3 (z.B. um den Gesualdo des Grinzinger Ländlers oder einen totgeborenen böhmischen Sonatinentheoretiker)
4 vgl.:Jindra 1994
5
Eine kritisch kommentierte Bibliographie zum Thema ist in Arbeit und
wird in absehbarer Zeit über die Homepage der
Interdisziplinären Forschungsstelle Star Trek in
Köln
(http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/forum/ifst/ )
abrufbar sein.
6 vgl. z.B. die Bochumer Magisterarbeit von 1997: Ruth Nicola Wanning: „Moral und Ethik im Star Trek-Universum am Beispiel von The Next Generation" oder den im gleichen Jahr erschienenen Band von Hellmann und Klein.
7 Telephonisches Interview mit Alexander Courage am 30.05.1997
8 Loulie Jean Norman war damals u.a. als Backgroundsängerin bei Elvis Presley und Ray Charles tätig
9 In der deutschen Fassung ist es nicht die Kirk-Stimme sondern eine Mischung aus Nachrichtensprecher und Märchenonkel. Warum auch immer.
10 Gene Roddenberry im Booklet zur CD Star Trek. newly recorded music from selected episodes of the paramount TV series. (Royal Philh. Orchestra/ Fred Steiner) Varese Sarabande VCD 47235 (1985).
11 Fred Steiner verrät übrigens schon in seiner E-Mail-Adresse, mit wem er nicht verwechselt werden sollte. Sie lautet: FredNotMax@)[...].
12 vergl. hierzu auch Fricke 1995, 363-364.
13 Satzbezeichnung: Langsam. Schleppend. Wie ein Naturlaut. Im Anfang sehr gemächlich
14zit. nach Bond (1997) S. 57.
15 E-Mail von Ron Jones an Markus Heuger v. 24.4.1997.
16 zit. nach Berkwits (1997), S. 13f.
17 Falls Sie übrigens das persönliche Schicksal von Ron Jones betroffen gemacht hat: Er hat inzwischen eine Kompositionsklasse für Filmmusik im Internet gegründet (www.emotif.com). Es geht ihm gut.
18 Reincke a.a.O.
19 vgl. Pauli 1984.
20 Klingonen sind die ehemaligen Feinde der Föderation. Inzwischen besteht ein wackliges Friedensverhältnis zwischen beiden Systemen.
21 Sound Designer Douglas Grindstaff über seine Arbeit: „Because it was Star Trek you couldn’t just put a gong in a show. That was a combination of recording the gong on stage, making an elctronic twang on the guitar and then combining the two.“ zit. nach Kaplan (1996) S. 85.
22 Klanglich in etwa eine Mischung aus Jean Michel Jarre und dem mittlerem Zappa.
23 Auf die verschiedenen Erscheinungsformen der Klingonischen Oper wäre in einem eigenen Aufsatz gesondert einzugehen.
24 Riker: „Computer: Blonds and Jazz seldom go together!“
25 Gespielt wird: „The nearness of you“ von H. Carmichael/N. Washington.
26 Die Funktion von Musik bei der Konstruktion von Geschlechterrollen in Star Trek ist Thema eines eigenen Aufsatzes (Heuger 1997).
27 Das haben sie mit so mancher musikwissenschaftlichen Publikation unserer Tage gemeinsam.